Altstadt Chur: Wie Phönix aus der Asche

Die Altstadt Chur lebt. Ein gemeinsamer Auftritt der Geschäfte der ältesten Altstadt der Schweiz soll Aufschwung und ein neues Bewusstsein bringen. Seit ich mich erinnern kann, erlebt die Altstadt in Chur ein munteres Auf und Ab. Nun geht es wieder bergauf. Ich hoffe, das bleibt lange so.

Der Arcas ist einer der schönsten Plätze in Chur. (Foto Andrea Ullius)
Der Arcas ist einer der schönsten Plätze in Chur. (Foto Andrea Ullius)

Der Aufschrei war gross, als die Zeitung Südostschweiz in einem Kommentar die Churer Altstadt für tot erklärte. Massenhaft leerstehende Landenlokale, betagte Ladenbesitzer und weitere Mängel wurden ausgemacht. Das liessen sich nicht alle gefallen. Es hagelte Leserbriefe und einen weiteren, diesmal positiven Bericht in der Zeitung.

Wie immer bei solchen Themen kann man die Thematik aus verschiedenen Blickwickeln betrachten. Dass die Altstadt mit Frequenzproblemen zu kämpfen hat ist Fakt, dass der Branchenmix nicht stimmt jedoch Ansichtssache. Mit der nötigen Kenntnis findet man beinahe Alles in der Altstadt.

Die Alststadt Chur gehört zu den Beliebteste in der Schweiz (Foto: Andrea Ullius)
Die Alststadt Chur gehört zu den Beliebteste in der Schweiz (Foto: Andrea Ullius)
Manchmal braucht es ein Aufrütteln

Das Gute an der Polemik: Es hat das Feuer in der Oberen Gasse neu entfacht. Vor wenigen Tagen hat die „Gemeinschaft Obere Gasse – Martinspatz“ die neue Marke ALTSTADT CHUR der Öffentlichkeit präsentiert. Mit gezielter Kommunikation sollen die Leistungen der Unternehmen in der Churer Altstadt der Bevölkerung näher gebracht werden. Das Konzept steht nicht nur den Mitglieder der Oberen Gasse und dem Martinsplatz offen, alle Gassen können davon partizipieren.

Mein Leben in der Altstadt Chur

Das Leben in der Altstadt von Chur hat mich ein Leben lang geprägt. Meine Familie führte am Oberor die Drogerie Ullius seit 1914, und so erlebte ich speziell die Obere Gasse jeden Tag hautnah. Da fuhren anfänglich noch Autos durch die Gassen und auf den Plätzen konnte man parkieren um seine Einkäufe zu erledigen. Ich ging zu Fuss von der Oberen Plessurstrasse in den Kindergarten und in die Schule, und wenn wir frei hatten lümmelten wir mit den anderen Obergass Kindern rum.

Autos auf dem Martinsplatz. Heute kaum vorstellbar. (Foto: Chur Tourismus z.V.g)
Autos auf dem Martinsplatz. Heute kaum vorstellbar. (Foto: Chur Tourismus z.V.g)

Schon zu dieser Zeit gab es die Obere Gasse Gemeinschaft. Da waren die Moosberger’s, die Schiesser’s, die Vollmer’s, die Jost’s, die Fehr’s, die Ullius’s und Grossmann’s und viele Weitere dabei. Es gab mindestens drei Lebensmittelgeschäfte, ein Fotogeschäft, den Kleger mit Knöpfen und die Redifusion. Die Obergässler und ihre Familien traffen sich regelmässig zu Auflügen mit Grill, Zelt und viel Spass. Gegessen wurde im Gansplatz, eingekauft nur in der Altstadt. Kurzum, die Zeit war gut.

Die verkehrsfreie Altstadt veränderte alles

Irgendwann wurde die Altstadt verkehrsfrei und gepflästert. Das bereitete einigen Geschäften Kopfzerbrechen, speziell denen, die grosse Dinge verkauften. Die Redifusion ging, die Lebensmittelgeschäfte schlossen. Alles in Allem war das neue Bild der Altstadt aber eine Bereicherung. Gewisse Kunden kamen nicht mehr, andere konnten dafür gewonnen werden. Der Tourismus begann zu florieren. Ein Problem blieb jedoch: das Parkplatzproblem.

Seit ich in der Sekundarschule war, denke ich auch politisch. Und so entbrannten in der Sekundarschule zwischen mir und meinem Lehrer Jürg Hartmann heftige politische Diskussionen. Im Zentrum das geplante neue Parkhaus Fontana. Nun war der Bruder meines Lehrers der Verkehrsplaner Jörg „Göli“ Hartmann und so hatte Jürg, also mein Lehrer, immer sehr gute Argumente in der Hinterhand, um die klasseninterne Abstimmung offen zu halten. Das Parkhaus wurde abgelehnt, ich war der Verlierer, aber dank Jürg Hartmann habe ich gelernt zu politisieren, zu argumentieren und Niederlagen zu akzeptieren. Merci Jürg.

Ein lauschiges Plätzchen: Das Bärenloch. (Foto: Andrea Ullius)
Ein lauschiges Plätzchen: Das Bärenloch. (Foto: Andrea Ullius)
Im Gemeinderat für die Altstadt und das Gewerbe

Das Thema Altstadt Chur beschäftigte mich dann auch als Mitglied des Churer Gemeinderates. Am 7. Oktober 1999 reichte ich das Postulat „Konzept für die Churer Altstadt“ ein. Ich wollte vom Stadtrat wissen, wo die Probleme der Altstadt sind und wie man ihnen begegnen kann.

Auch das Thema Fontanta Parkhaus wurde im Jahr 2001 nochmals aktuell. Am 25. November 2001 kreuzte ich mit der „Linken“ Eva Ködderitsch im Grischalog die Klingen. Auch diese Abstimmung ging verloren. Ich bin heute noch der Meinung, dass ein Parkhaus Fontana der Altstadt viel Ungemach erspart hätte, und ich denke dabei in erster Linie an die Liegenschaftsbesitzer und Mieter.

Zuwenig Familienwohnungen, zuwenig Parkplätze

Eine Studie der HTW Chur hatte ergeben, dass es zwei Hauptgründe gibt, weshalb Menschen der Altstadt als Bewohner den Rücken kehren: 1. keine kindergerechten Wohnungen (ab 4 Zimmer, mit Balkon) und 2. keine verfügbaren Parkplätze in unmittelbarer Wohnnähe. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert.

In diesen Jahren und auch schon davor waren sehr innovative und motivierte Menschen in der Altstadt am Werk. Fritz Schiesser leitete die Obere Gasse Gemeinschaft und initierte unter anderem mit meinem Vater den Wochenmarkt. Auch der Weihnachtsmarkt ging auf die Initiative dieser Leute zurück. Lange Zeit waren dann Seppo Caluori und Beni Koch für die Organisation dieses tollen Marktes verantwortlich. Für den nötigen politischen Druck sorgte Bruno Tscholl mit der Vereinigung Churer Altstadt. Das war eine Zeit, an der alle am gleichen Strick zogen, oder sagen wir fast alle.

Augen auf beim Spaziergang durch die Altstadt. (Foto: Andrea Ullius)
Augen auf beim Spaziergang durch die Altstadt. (Foto: Andrea Ullius)
„Mein“ Vermächtnis für die Churer Altstadt

Nachdem mein Postulat vom Gemeinderat an den Stadtrat zwar überwiesen wurde, die Studie auf dem Tisch lag, aber die weiteren Ergebnisse auf sich warten liessen, versuchte ich mich an konkreten Dingen. Ich forderte den Stadtrat auf, ein Konzept für eine neue Beschilderung der Altstadt dem Gemeinderat vorzulegen. Das tat er dann auch und der Ersatz für die ehemals roten und grünen „Fussspuren“ auf der Strasse war geboren. Die neuen roten Wegweiser und Infotafeln sieht man heute gut verteilt an allen Ecken und Enden in der Altstadt. Ich bin so froh, dass das für einmal nicht Roger Schawinski erfunden hat.

"Meine" Beschilderung für die Alstadt Chur. (Foto: Andrea Ullius)
„Meine“ Beschilderung für die Alstadt Chur. Hier der Prototyp, den ich als Geschenk erhalten habe. (Foto: Andrea Ullius)

Meinen letzten Einsatz für die Churer Altstadt leistete ich als Präsident der VCA während dreier Jahre. In dieser Zeit war die Stimmung eher im Bereich Tiefdruck angesiedelt. Das neue Einkaufscenter City West liess die Frequenz weiter erodieren und zwei „Euro-Schocks“ hielten zudem den europäischen Touristen vom Shopping ab. Aber lassen wir jetzt die Vergangenheit ruhen.

Grundsätzlich stimmt der Branchenmix

Der neue Slogan der Altstadt Chur, „Wir sind neuer als du denkst“, trifft aus meiner Sicht voll ins Schwarze. Denn in der Altstadt sind höchstens die Gemäuer alt. Wenn man sich die Mühe macht und gezielt in die tollen Läden in den Gassen schaut, dann findet man viel Bekanntes, aber auch Überraschendes. Alleine auf dem Kleidersektor sind unzählige trendige, farbige und saisonale Marken zu finden. Für ein erstklassiges Olivenöl muss man nicht nach Italien oder Griechenland pilgern. Das gibt es in der Oberen Gasse, gleich an mehreren Orten. Schmuck? Kein Thema! Gibt es in Hülle und Fülle. Hobbyköche bekommen ihr Werkzeug ebenfalls in der Altstadt im geilsten Küchenlanden weltweit. Klickt euch doch mal durch die Gallerie am Schluss des Textes. Da sehr ihr einige der Menschen, die für euch in der Altstadt parat sind.

Auch wenn in der Altstadt kein Grossverteiler angesiedelt ist, so bekommt man gerade im Lebensmittelsektor alle Produkte für das tägliche Leben. Metzgerei, Bäckereien, Delikatessen, Reformprodukte hat es alles. Und der Denner ist ja auch noch am Kornplatz. Einzige Herausforderung: man muss sich bewegen und verschiedene Läden ansteuern. Das hält aber fit und zwischendurch hat es genügend Kaffees zum Pause machen.

Folge den roten Tafeln und findest Neues und Spannendes. (Fotos: Andrea Ullius)
Folge den roten Tafeln und findest Neues und Spannendes. (Fotos: Andrea Ullius)
Persönlicher Kontakt statt Anonymität

Was mich besonders freut, ist der Optimismus, der wieder Einzug gehalten hat. Das ist meiner Meinung nach einer der Erfolgsfaktoren für eine florierende Altstadt. Es gibt genug Leute in Chur, die den persönlichen Kontakt dem Shoppingcenter-Flair vorziehen. Wenn der Kunde überall ein Lächeln bekommt, dann kommt er wieder. Machen alle einen Lätsch, dann zieht er lieber in den anonymen Grossverteiler, da ist er sich daran gewöhnt.

Dass die Churer und Churerinnen (und auch Auswärtige) die Altstadt lieben, konnte man unlängst am 9. Risotto Wettkochen miterleben. Über 1200 Menschen haben „Eintritt“ bezahlt und geschlemmt. Diese Leute kommen gerne wieder in die Altstadt, wenn sie merken, dass sie Willlkommen sind.

Eine Crew, die Optimismus versprüht

Kampagnen, Organisationen und Events leben von den Menschen, die sie organisieren. Spontan kommen mir hier Jaccqueline Cavegn, Stefan Walter, Georg Pichler, Reto Freimüller, Roman Benker in den Sinn. Es gibt noch mehr, sorry, wenn ich Einige vergessen habe. Diese Gewerbler setzten sich sich für die Gemeinschaft ein, organisieren die Märkte und Events und sind unglaublich motiviert.

Es gibt aber auch die Miesepeter, die immer etwas Auszusetzen haben. Sei es, weil ein Stand vor dem Schaufenster steht, der Aufbau des Wochenmarktes zu laut ist, am Tag nach dem Weihnachtsmarkt noch etwas Abfall rumliegt. Es gibt immer Dinge, die nicht rund Laufen, aber die ewige Nörgelei demotiviert. Also lasst das, zieht mit Richtung vorwärts.

Geduld bring Rosen und Kunden

Oft werden Kampagnen oder Events auch falsch verstanden. Wer das Gefühl hat, dass nach einem Event die Kundenzahlen in die Höhe schnellen, wird enttäuscht sein. Erfolge stellen sich erst mit der Zeit ein. Es kann sogar sein, dass die Frequenzen nicht steigen, sondern bloss nicht weiter sinken. Ein nachhaltiges Wachstum kann nur erreicht werden, wenn Aktivitäten, Aktionen, Events und Kampagnen über Jahre geplant, realisiert und laufend angepasst werden. Ausdauer ist gefragt.

Ich komme zum Schluss. Endlich. Die Altstadt Chur ist wie Phönix aus der Asche auferstanden. Nun zählen Durchhaltewillen, Energie, Aussortieren der Miesepeter, Nutzen der Chancen und Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Und das Wichtigste: Liebt euere Kunden, wie euere Familie.

Text: Andrea Ullius
Fotos: Andrea Ullius. moinz Kreativbüro, demateo ag

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Drogist HF, Autor und Blogger. Vom Norden begeistern, am Rest der Welt interessiert. Schreibt vorwiegend in und über Schweden, Skandinavien und die Schweiz. Nach 10 Jahren, Radio-, Fernseh- und Agenturerfahrung habe ich mich aufgemacht, alle Facetten des Reisebloggens und der Content-Produktion kennen zu lernen. Ich schreibe auf www.schwedenhapen.ch und www.ullala.ch.

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